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Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2010 PDF Drucken E-Mail

Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter und die Bundesvertretung Richter und Staatsanwälte in der GÖD erlauben sich, zum Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert wird und einige Bundesverfassungsgesetze und in einfachen Bundesgesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen aufgehoben werden (Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2010) (GZ: BKA-601.999/0001-V/1/2010) wie folgt Stellung zu nehmen:

I. Allgemeine Überlegungen:

Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter und die Bundesvertretung der Richter und Staatsanwälte in der GÖD begrüßen den mit dem vorliegenden Entwurf dokumentierten neuerlichen Versuch, die überfällige Schaffung einer allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit umzusetzen. Dies wurde von den richterlichen Standesvertretungen wiederholt gefordert und vor allem auch sowohl gegenüber dem sogenannten "Österreich-Konvent" als auch in ihrer Stellungnahme zum Entwurf der Expertengruppe Staats- und Verwaltungsreform, 94/ME XXIII. GP betont. Die Umsetzung dieses Vorhabens wurde von den Standesvertretungen auch zu Beginn der Legislaturperiode als eine der vordringlichen Maßnahmen für die Arbeit der neuen Bundesregierung eingefordert. Es ist höchste Zeit, die im europäischen und internationalen Vergleich defizitäre Situation im Bereich einer gerichtlichen Kontrolle der Verwaltungstätigkeit zu beheben.

Allerdings birgt der vorliegende Entwurf, wie auch schon seine Vorläufer, die Gefahr einer Zersplitterung durch unterschiedliche Ausgestaltung auch tragender Elemente der Gerichtsbarkeit hinsichtlich der Organisation, des Verfahrens und der Position der Entscheidungsorgane, indem er dafür keine einheitliche Regelungskompetenz schafft. Dies kann zu einer Erosion führen, die auch vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht Halt macht. Diese schon derzeit bei den UVS gegebene Situation hat sich nicht bewährt, die insbesondere vor dem Hintergrund der durch Art. 10 Abs. 1 Z. 1 vorgesehenen "Verländerung" der Organisationsgewalt für die Verwaltungsgerichte in den Ländern und das absehbare Abweichen landesgesetzlicher Regelungen von bundesgesetzlichen Regelungen für die vorgesehenen Verwaltungsgerichte in Bundeskompetenz wird daher strikt abgelehnt. Es ist unbedingt erforderlich, eine bundeseinheitliche Regelung des Organisations-, Verfahrens- und Dienstrechts verfassungsgesetzlich sicherzustellen, also zumindest eine Grundsatzgesetzgebung für den Bund zu verankern.

Nicht ohne Grund sah der seinerzeitige Verfassungsgesetzgeber trotz des Bekenntnisses zum föderalen Staatsaufbau vor, die (ordentliche) Gerichtsbarkeit bundeseinheitlich zu gestalten. Es gibt keinen Grund hinsichtlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit, anders vorzugehen. Insbesondere stellt auch die Tatsache, dass die Verwaltungsgerichte in den Ländern die Verwaltung in diesen Ländern prüfen sollen, kein tragfähiges Argument dar, gilt doch auch auf dieser Ebene die Trennung von Justiz und Verwaltung und ist auch nicht argumentierbar, dass unterschiedliche Sachmaterien, die im Bereich der Gesetzgebungskompetenz der Länder naturgemäß von Land zu Land unterschiedlich gestaltet sind, unterschiedliche Ausgestaltung des nachfolgenden Verwaltungsgerichtssystems und der dienstlichen Rahmenbedingungen seiner Amtsträger im jeweiligen Bundesland erforderlich machen.

Es ist sicher nicht bloß ein Anliegen der richterlichen Standesvertretung, dass Rechtssuchende, bei welchem Gericht auch immer sie an einem Verfahren beteiligt sind, sie mit Richterinnen und Richtern gleicher hoher Qualität zu tun haben, die ihnen auf Grund gleicher Verfahrensausgestaltungen qualifizierten Rechtsschutz gewähren. Die mit einer Zersplitterungsmöglichkeit grundgelegte Schaffung von Richtern verschiedenen Typs, trägt den Keim einer Verunsicherung, einer Schwächung und eines möglichen Vertrauensverlustes in alle Bereiche der Gerichtsbarkeit in sich. Jeder österreichische Richter sollte weiterhin voll jenem Funktionsträger entsprechen, den die Bundesverfassung bisher voraussetzt und der sich in der ordentlichen Gerichtsbarkeit jahrzehntelang bewährt hat. In diesem Zusammenhang darf auf das negative Beispiel der erst vor kurzem eingeführten teilweisen „Verländerung“ dienst- und besoldungsrechtlicher Kompetenzen in der Bundesrepublik Deutschland hingewiesen werden, die bereits wieder zu Überlegungen führten, diese Kompetenzverschiebung von Bund zu den Ländern rückgängig zu machen.

Die richterlichen Standesvertretungen sehen es daher als unabdingbar, dass Verwaltungsgerichte einheitlich organisiert, in einem einheitlichen Verfahren tätig werden und über Richterinnen und Richter verfügen, die bundesweit einheitlich rekrutiert, besoldet und mit einheitlichem Dienstrecht ausgestattet sind. Dabei ist vor allem auch darauf zu achten, dass künftige Verwaltungsrichter und Richter bereits bestehender Gerichte, insbesondere der ordentlichen Gerichte, vergleichbare formale Berufsvoraussetzungen (Jusstudium) haben, eine vergleichbare Aus- und Fortbildung genießen und dienst- und besoldungsrechtlich gleiche Absicherungen ihrer richterlichen Unabhängigkeit gewährleistet haben. Es müsste sichergestellt werden, dass sowohl zwischen verschiedenen Verwaltungsgerichten, als auch zwischen ordentlichen Gerichten und Verwaltungsgerichten (zumindest nach einer Übergangszeit) Durchlässigkeit im Sinne eines Wechsels der Richterinnen und Richter von einem Gericht zum anderen möglich wird.

Dabei wird natürlich nicht verkannt, dass gewisse Übergangsbestimmungen mit gewissen Ausnahmen für Ersternennungen notwendig sein könnten, um eine rasche Umsetzung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu ermöglichen. Nach drei bis vier Jahren müsste es allerdings möglich sein, bei Ernennungen von Verwaltungsrichtern die endgültigen gesetzlichen Regelungen im obigen Sinn anzuwenden.

Hinsichtlich des Verfahrens wird - zum Teil in Wiederholung bisheriger Stellungnahmen - neuerlich angemahnt, dass Rechtsschutz jedermann unterschiedslos zukommen sollte. Seit der Aufklärung entspricht es nicht europäischem Standard unterschiedliche Rechtsverfolgungssysteme für Bürger und andere Personen einzurichten. Unterschiedslos sollen für alle Rechtssubjekte Verfahren mit gleichbleibend hohem Rechtsschutz zur Verfügung stehen, verwaltungsgerichtliches Verfahren unabhängig von der Sachmaterie in gleicher Weise den rechtsstaatlichen Standards entsprechen. Auch sollte darauf geachtet werden, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in dessen Ausgestaltung nicht hinter dem Standard der ordentlichen Gerichtsbarkeit zurückzubleiben. All das kann wohl am besten durch eine Gesetzgebungskompetenz in einer Hand oder durch detaillierte Regelung in der Bundesverfassung selbst sichergestellt werden, wobei ein solcher Detaillierungsgrad allerdings über die Aufgaben einer Verfassung hinausgeht.

II.) Zu einzelnen Reglungen des Entwurfs:

Ernennungserfordernisse für Verwaltungsrichter:

Die in Art. 134 Abs. 2 und 3 vorgesehenen Ernennungserfordernisse sollten in Hinblick auf die oben angeführte Notwendigkeit eines einheitlichen Richterbildes in Anlehnung an die in den §§ 2 ff RStDG vorgesehenen Ernennungserfordernisse für die zukünftigen Verwaltungsrichter erster Instanz ebenfalls verpflichtend die Vollendung eines Universitätsstudium vorsehen. Auch sollte eine der Richteramtsprüfung vergleichbare Prüfung vorgesehen werden. Auch eine gewisse verpflichtende praktische Erfahrung bei einem ordentlichen Gericht oder einem Verwaltungsgericht, etwa im Rahmen einer Zuteilung, sollte vorgesehen werden, da sie sich im Rahmen der ordentlichen Gerichtsbarkeit sehr bewährt hat. Umgekehrt sollt auch für Richterinnen und Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit der Umstieg auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit praktisch ermöglicht werden. Eine wechselseitige Durchlässigkeit der Richter der verschiedenen Arten der Gerichtsbarkeit sollte (allenfalls mit Ergänzungsprüfungen) gewährleistet werden, um dadurch einen wechselseitigen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen und die dritte Staatsgewalt als Einheit zu sichern.

Ernennung der Verwaltungsrichter:

Ob – wie im Entwurf vorgesehen – die Vollversammlungen oder wie in der ordentlichen Gerichtsbarkeit der richterliche Senat, bei denen die Mehrheit der Mitglieder von den Richterinnen und Richtern gewählt wurde, Besetzungsvorschläge erstattet, ist nicht so entscheidend, beide Varianten haben Vor- und Nachteile. Wichtig im Sinne des Gewaltenteilungsgrundsatzes wäre jedoch eine Bindung des ernennenden Organs an die Besetzungsvorschläge, was auch für die ordentliche Gerichtsbarkeit seit Jahren gefordert wird. Auch ist nicht ersichtlich, weshalb für die Ernennung von Präsidenten und Vizepräsidenten keine Vorschläge eingeholt werden sollen.

Zur Säumnisbeschwerde:

Das Instrument der Säumnisbeschwerden ist ein im Verwaltungsverfahren erprobtes und auf dieses abgestelltes Instrument. Es setzt im weisungsstrukturierten Aufbau gegebene Devolutionsmöglichkeiten systemlogisch fort. Im Rahmen gerichtlicher Tätigkeit ist jedoch eine derartige Substitutionsmöglichkeit von Entscheidungsrechten und Entscheidungspflichten ein völliger Fremdkörper und unvereinbar. Will man für Fälle gerichtlicher Untätigkeit ein Abhilfe schaffendes Instrument einführen, so empfiehlt sich der auch in der ordentlichen Gerichtsbarkeit durchaus bewährte Fristsetzungsantrag (§ 91 GOG). Dieser entspräche auch den Erfordernissen der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Zur Schaffung von Rechtspflegern an den Verwaltungsgerichten:

Rechtspfleger haben sich im Rahmen der Zivilrechtspflege für einfachere Verfahren durchaus bewährt. Sie sind ausschließlich in erster Instanz tätig. Es kommt ihnen nie die Überprüfung der Tätigkeit anderer staatlicher Entscheidungen zu. Das aber ist der Kern der Aufgaben künftiger Verwaltungsgerichte. Es müsste daher schon auf Verfassungsebene einschränkend sichergestellt werden, dass nur bestimmte Entscheidungen – etwa verfahrensleitende Entscheidungen im Vorfeld oder vorbereitende oder von die Entscheidung der Richter umzusetzende Maßnahmen - in die Zuständigkeit von Rechtspflegern übertragen werden können. Insbesondere sollte sichergestellt werden, dass Rechtspfleger nicht über Verwaltungsstrafen oder z.B. im Asyl- und Fremdenbereich Entscheidungen treffen dürfen. Diese müssen den Richtern vorbehalten bleiben. Bei dieser Gelegenheit darf daran erinnert werden, dass die Warnung der richterlichen Standesvertretung nach der Erweiterung der Einsatzmöglichkeit von Rechtspflegern in der ordentlichen Gerichtsbarkeit auch auf das Gebiet des Strafrechtes, Rechtspfleger auch mit der Festsetzung von gerichtlichen Geld- und Freiheitsstrafen vom einfachen Gesetzgeber betraut werden könnten, über die Entlassung von Gefangenen zu entscheiden zuständig gemacht werden könnten etc, nicht beachtet wurde, weshalb die nunmehrige Gelegenheit dazu genützt wird, neuerlich eine inhaltliche Einschränkung strafgerichtlicher Einsatzmöglichkeit von Rechtspflegern auf Verfassungsebene zu fordern.

Zu den Änderungen betreffend den Verwaltungsgerichtshof:

Vehement wird die Beibehaltung des Richterdrittels gefordert. Es hat sich als sehr befruchtend für die Tätigkeit dieses Gerichtshofes erwiesen, dass dessen Richter sowohl aus dem Bereich der Verwaltung als auch der ordentlichen Gerichtsbarkeit kommen, da hier die Kultur richterlicher Entscheidungstätigkeit und die Innensicht auf verwaltungsbehördliches Handeln einander befruchten und in Summe eine höchststehende gerichtshofeigene Rechtsprechung entwickelten und bewahren. Auch handelt es sich hier um einen nicht unwesentlichen Beitrag zu einer allgemeinen Durchlässigkeit zwischen den Gerichten verschiedener Sparten. Auch die Beibehaltung einer Quote für Mitglieder aus den Landesverwaltungen (oder Landesverwaltungsgerichten) müsste beibehalten werden. Dies bringt nicht nur Sachverstand auch aus diesem Bereich ein, sondern entspricht auch dem föderalen Gedanken, der sich hier durch die unmittelbare Beeinflussung von bundesweit gültigen Gerichtserkenntnissen als wichtiger erweist, als beim Vorschlag des Entwurfs durch eine länderweise Zuständigkeit in der Gesetzgebung. Diese trägt die Gefahr der Zersplitterung in sich und ist damit weder im Interesse der Länder noch des Gesamtstaates.

Zum Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof:

Art. 133 Abs. 1 Z. 1 sieht die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes für Beschwerden gegen jegliche Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes erster Instanz vor. Hier sollte einschränkend klargestellt werden, dass eine Anfechtung von Entscheidungen der Kollegialorgane der Verwaltungsgerichte nicht anfechtbar sind. Insoweit sollte den Erläuterungen nicht gefolgt werden, nach denen "auch Entscheidungen eines Verwaltungsgerichtes in dienst- und disziplinarrechtlichen Angelegenheiten erfasst“ sein sollen, „und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um Akte der monokratischen oder der kollegialen Justizverwaltung handelt ...".

Zur Diensthoheit der Gerichtshofpräsidenten:

Artikel 134 Abs. 8 B-VG i.d.F des Entwurfes stellt – einem Verfassungsgerichtshoferkenntnis folgend fest, dass die Diensthoheit gegenüber den beim Verwaltungsgerichtshof Bediensteten vom Präsidenten ausgeübt wird. Diese Bestimmung wird als konsequente Umsetzung des Gewaltenteilungsgrundsatzes nachdrücklich begrüßt. Der Entwurf lässt aber eine vergleichbare Bestimmung für die anderen Verwaltungsgerichte vermissen. Längst überfällig ist, eine gleichlautende Bestimmung für die Präsidentin des Obersten Gerichtshofes zu schaffen, deren Unterstellung unter eine Ministerialbürokratie systemwidrig und im europäischen Vergleich kurios ist.

Zur Einbeziehung bestehender Behörden:

Es entspricht langjährigen Forderungen der richterlichen Standesvertretungen Art.133 Z 4 B-VG Behörden abzuschaffen und durch eigentliche Gerichte zu ersetzen. Ob allerdings alle in der Anlage zum Entwurf angeführten Behörden dem neuen Verwaltungsgerichtsregime unterstellt werden sollten und gegebenenfalls mit welchen Übergangsfristen, sollte noch einmal genau geprüft werden. So erscheint es prüfenswert, ob im berufsständischen Selbstverwaltungsbereich tatsächlich eine Unterstellung unter die allgemeine Regelung systemkonform ist, was vor allem bei Berufen, deren unabhängige Ausübung im essentiellen Interesse des Staates und seiner Bürger liegt, gelten dürfte (vgl. OBDK). Es ist anzunehmen, dass bei den einzelnen zur Einbeziehung vorgeschlagenen Einrichtungen auch die Kostenkomponente eingehend analysiert wurde. Die richterliche Standesvertretung sieht es weder als ihre Aufgabe, dazu Stellung zu nehmen, noch ist sie dazu mangels entsprechender Angaben in der Lage. Fest steht jedenfalls, dass durch jede Einbeziehung der Personalbedarf der neu einzurichtenden Gerichte steigt. Gerade hier stellt sich daher im Sinne der im allgemeinen Teil dieser Stellungnahme zu den Ernennungserfordernissen und der notwendigen einheitliche Ausbildung gemachten Ausführungen die Frage des Vorhandenseins einer ausreichenden Anzahl von geeigneten Bewerbern bzw. von Übergangsregelungen.

 
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