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Zwischen Wunsch und Wirklichkeit – Familienrichterliches Selbst- und Fremdbild im Spannungsfeld vielfältiger Erwartungen
Zum 20. Mal fand heuer im schönen Salzburg der Familienrichtertag unter reger Teilnahme der mit diesem Fachgebiet betrauten Richterinnen und Richter statt. Tagungsort war das CD Seminarhotel nahe dem Salzburger Messegelände, wo sowohl großzügig bemessene Seminarräume als auch ein Restaurant zur Verfügung standen. Nach einer sehr herzlichen Begrüßung durch die frisch gewählte Fachgruppen-Vorsitzende Mag. Doris Täubel-Weinreich lauschten wir dem Vortrag des klinischen Psychologen und gerichtlich beeideten Sachverständigen Dr. Klaus Gruber, seines Zeichens verantwortlich auch für den sogenannten Psychotest im Zuge des Übernahmeverfahrens. Dr. Gruber erläuterte die Bedeutung des „Selbst“ im Selbstbild, zum Thema „FamilienrichterInnen zwischen Eigenschaften, Anforderungen und Ressourcen: Streifzüge über Selbstbilder, Fremdbilder und Wunschbilder“. Sehr interessant waren die Ausführungen zur Entstehung des Selbstbildes, wonach das Selbstbild immer ein Ergebnis der eigenen Geschichte ist und somit immer vom Standpunkt des Beobachters abhängt. Quintessenz dieses sehr lebensnahen Vortrages war, dass es den Idealtyp des Familienrichters nicht gibt, weil eine solche Beurteilung von vielerlei Faktoren – nicht zuletzt dem Selbstbild des Fragenden – abhängt. Befragt zu den Kriterien des Psychotests im Aufnahmeverfahren erläuterte Dr. Gruber, dass dieser auf Grund eines Erlasses lediglich als Ausschlusstest - welcher Krankhaftes erkennt - und nicht als „Einschlusstest“ zu sehen ist. Im Anschluss an diesen Vortrag stärkten sich die Teilnehmer bei einem schmackhaften und überaus reichlichem Mittagsbuffet, gewürzt mit einem lebhaften Gedankenaustausch zum eben Gehörten. Die daran anschließenden Arbeitskreise zum Thema „Sind wir alle Wunderwuzzis? Macht und Ohnmacht im familienrichterlichen Alltag“ kamen trotz unterschiedlicher Verständnisse der vorgegebenen Kriterien durchwegs einheitlichen Ergebnissen. Für die familienrichterliche Tätigkeit ist ein hohes Maß an sozialer Kompetenz und Belastbarkeit, sowie Menschenkenntnis und die mündliche Ausdrucksfähigkeit, erforderlich. Von eher untergeordneter Bedeutung wurde die schriftliche Ausdrucksfähigkeit und überdurchschnittliche fachliche Kenntnisse beurteilt. Wobei betont wurde, dass jedenfalls für den Familienrichter fachliche Kenntnisse bedeutsam sind, jedoch nicht unbedingt „überdurchschnittliche“. Auch sehen die Familienrichter ihr Amt nicht als „Dienstleistung“. Als weitere wichtige Eigenschaften wurden Blick für das Wesentlich, Selbstachtung und Achtung vor den Parteien, Gesundheit, Reflexionsfähigkeit und Offenheit gegenüber anderen Kulturen herausgehoben. Hinsichtlich des Themenbereiches Macht und Ohnmacht bestand Übereinstimmung, dass die Macht des Familienrichters vor allem in der Wahrnehmung der Parteien existiert (Familienrichter arbeiten zukunfts – und lösungsorientiert, treffen lebensgestaltende Entscheidungen und haben somit eine hohe Verantwortung in der Gesellschaft). Ohnmacht hingegen ein allgegenwärtiges Gefühl im familienrichterlichen Alltag darstellt, insbesondere im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit von Beschlüssen – speziell Besuchsregelungen -, den Umgang mit psychisch kranken Parteien und die Grenzen der Kommunikationsfähigkeit, wenn nur um des Streites willen gestritten wird. Zusammengefasst herrscht im Selbstbild der Familienrichter wohl am ehesten die Einschätzung als „mächtigster Sozialarbeiter Österreich“ vor, wobei der Begriff Macht in Relation zu den sozialarbeiterischen Möglichkeiten zu sehen ist. An Strategien gegen die Ohnmacht wurden unter anderem Mediationsausbildung, Curriculum, Klarstellung der Rollenverteilung im Verfahren, Eigenverantwortung der Eltern als Parteien sowie Gedankenaustausch unter Kollegen und Wertschätzung / Unterstützung durch den Dienstgeber genannt. Als Abschluss dieses ersten Tages lauschten die Teilnehmer dem Vortrag von Dr. Patrick Frottier, ärztlicher und therapeutischer Leiter der Justizanstalt Mittersteig zum Thema „Projektion, Übertragung, Gegenübertragung – unbewusste Prozesse für FamilienrichterInnen“. Dabei ging Dr. Frottier vor allem auf das Thema der Empathie, die Stufen der Empathie und den Weg dorthin ein. Empathie gliedert sich demnach in folgende Stufen: Kognitiv im Sinne des Erkennens der Emotion, affektiv als Reaktion auf diese Erkenntnis, die daraus resultierende Unterscheidung zwischen fremden Affekten und eigenen Emotionen sowie als letzte Stufe das dementsprechende Agieren. Folgende Schritte zur Erreichung der Empathie wurden erläutert und dargelegt: Als erster Schritt das Erkennen des Dilemmas – also einer ausweglosen Situation, als zweiter Schritt, die Frage, welche Rolle man selbst einnehmen wollte, würde der Fall verfilmt werden und als dritter Schritt die (fiktive) Verfassung einer persönlichen Mitteilung an alle beteiligten Personen und die Vergegenwärtigung der entsprechenden Antworten. Um die daran beteiligten Prozesse zumindest ansatzweise verstehen zu können, erläuterte Dr. Frottier die Stufen der (theoretischen) Moralentwicklung wie folgt: 0 – 5 Jahre Orientierung am eigenen Wohlergehen 5 – 10 Jahre Orientierung an der Tauschgerechtigkeit 10 – 16 Jahre Orientierung an der externen Erwartungshaltung 16 – 20 Jahre Orientierung an der Gesellschaftsverfassung > 20 Jahre Orientierung am Sozialvertragsgedanken Als höchste Stufe der Moralentwicklung die Orientierung an allgemeinen Wertvorstellungen und dem eigenen Gewissen. Ergänzend führte der Vortragenden aus, dass die meisten Menschen in der dritten Stufe – nämlich der Orientierung an der externen Erwartungshaltung verharren, die letzte Stufe nur in sehr seltenen Fällen erreicht wird. Nach diesem sehr interessanten und lebendig gestalteten Vortrag endete der erste Tag und fand einen gemütlichen Abschluss in einem gemeinsamen Abendessen aller Teilnehmer im Seminarhotel. Der Großteil der Teilnehmer besuchte danach das Theaterstück „Dieser verfluchte Montesquieu“, ein Jusitzpolitthriller von RidOLG Wolfgang Aistleitner der Theatergruppe „Das Tribunal“, das allgemein Anklang fand und für einen entspannten Ausklang des sehr intensiven Tages sorgte. Der zweite Teil des Familienrichtertages begann mit einem Bericht über den Erfahrungsaustausch der RechtsmittelrichterInnen, die einen Überblick über die letzten, insbesondere für FamilienrichterInnen wichtigen Rechtsmittelentscheidungen lieferten. Hervorgehoben wurden die Entscheidung 10 Ob 47/07w, welche zwischen geschiedenen Ehegatten einen Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung betreffend die für die Unterhaltsbemessung maßgebenden Umstände anerkennt, 2 Ob193/06f zum Verhältnis der Unterhaltsverwirkung zu § 68a EheG, 3Ob 43/07f, zum Verhältnis des § 17 AußStrG zu § 73 AußStrG, sowie 2 Ob 85/06y, welche das Bestehenbleiben des gesetzlichen Vorausvermächtnisses bei Verlassung der Ehewohnung der Ehefrau wegen Gewalttätigkeit des Mannes, bejahte. In weiterer Folge nahm Dr. Hermann Germ, Leiter der Sektion 3 im Bundesministerium für Justiz, zum Thema „Müssen Pflegschaftsverfahren so lange dauern? Familienrichterliche Tätigkeit aus Sicht der Justizverwaltung", Stellung und skizzierte einige Berichte der Volksanwaltschaft, welche mehrmonatige Verfahrensstillstände aufzeigten. Diese seien im Wesentlichen auf mehrfache Richterwechsel, Kanzleiversehen, Krankheit, persönliche Probleme und Überbelastung zurückzuführen. Er wies auf eine Entscheidung des EGMR vom 18.1.2007 hin (45.983/99) in welcher die Republik Österreich nach einem Verfahrensstillstand von ca. 6 Jahren in einem Obsorgeverfahren wegen Verletzung einer positiven staatlichen Verpflichtung zu ca. € 12.000,-- Schadenersatz verurteilt wurde (Art. 6, 8, 13 EMRK; Art. 5 des 7.ZP).
Dr. Barbara Helige, Präsidentin der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter, rief in weiterer Folge zu dem Thema „Sind FamilienrichterInnen anders? Familienrichterliche Tätigkeit aus Sicht der Standesvertretung" die Familienrichter zu Zivilcourage auf. Selbst wenn der Druck durch Revision/Jv sehr groß sei, solle mit einer Entscheidung abgewartet werden, wenn eine andere Lösung in Sicht sei. Ein schnelles Urteil sei nicht immer ein gutes Urteil. Aus Sicht der Standesvertretung arbeiten FamilienrichterInnen an der Front, verüben eine mit hoher Emotionalität verbundene und daher sehr anstrengende Tätigkeit. FamilienrichterInnen übernehmen Verantwortung für Schicksale und haben die Möglichkeit die Zukunft zu gestalten. Zusammenfassend bezeichnete Dr. Helige FamilienrichterInnen als „Fels in der Brandung“, welche eine wichtige Brücke zu den Menschen schaffen, die die Gerichtsbarkeit wahrnehmen. Nach einer Kaffeepause wurden wieder Arbeitskreise gebildet, welche von verschiedenen Experten begleitet wurden. Dr. Helene Klaar, Rechtsanwältin in Wien, leitete den Arbeitskreis zum Thema „Gerichtliche Entscheidungen und ihre Auswirkungen auf die Betroffenen – Erfahrungen aus 30 Jahren Scheidungspraxis. Dr. Andrea Haninger-Limburg, Rechtsanwältin und Mediatorin in Innsbruck, arbeitete mittels Rollenspiel zum Thema „Einspruch, Euer Ehren! Familienrecht aus Sicht der Parteien“ mit einigen Kollegen zusammen. Hier wurde im setting ein Fremdbild von Schnelligkeit erzeugt, welches dem Selbstbild der Richterin, welche das Bedürfnis nach mehr Zeit hatte, gegenüberstand. Dr. Brigitt Haller vom Institut für Konfliktforschung diskutierte im Arbeitskreis eine Studie zum Thema „Wie man Richter wird – wie man Richter macht: Richterpersönlichkeiten aus soziologischer Sicht“. Dargelegt wurde, dass sich zwar die Zusammensetzung der Richterschaft im Gegensatz zur älteren, überwiegend männlichen Generation aus der oberen Mittelschicht, verändert habe, aber diese bei weitem noch nicht ein Abbild der Bevölkerung darstelle. Zum Thema Selbst- und Fremdbild ergab die Studie, dass die Richterschaft sich selbst als Individualisten sehe, das Fremdbild aber Uniformität zeige. Ein vierter Arbeitskreis fand unter Leitung von Dr. Hermann Germ vom BMJ zum Thema „FamilienrichterInnen und Justizverwaltung“ statt. Dr. Herbert Schmidbauer bereicherte die breite Palette an Arbeitskreisen mit dem Thema „Familienrichterliche Tätigkeit aus Sicht eines Sachverständigen“ und lud die FamilienrichterInnen ein, die Sachverständige um ein Feedback zu bitten. Er selbst nehme keine Uniformität bei den FamilienrichterInnen wahr, sondern Einzelpersönlichkeiten, an deren Stil das Verhandlungsklima anknüpfe. Zuletzt erläuterte Dr. Andrea Wasinger, Journalistin vom Kurier, zum Thema „Richterliche Tätigkeit im Spiegel der Medien“ die Bedeutung vom Abbau von Vorurteilen auf beiden Seiten und das Spannungsverhältnis zwischen Medienfreiheit und Verschwiegenheit in der Justiz. Die anschließende Podiumsdiskussion an der sämtliche Arbeitskreisleiter teilnahmen, bildete den Abschluß dieses zweiten spannenden und vielseitigen FamilienrichterInnentages. Mag. Linda-Maria Unterlechner |